Als ich am Samstag, der 22. März diesen Jahres war es, meine Hauspostille zur Frühstückslektüre aufschlug, fiel mein Blick sogleich auf die Seite 3. Dies ist in der „Berliner Zeitung“ regelmäßig die ganzseitige Themenseite, die Inhalte unterschiedlichster Provinienz, aber regelmäßig abseits des tagespolitischen Geschehens einmal ausführlich aufarbeitet. Unter dem Titel „Die Unzeitgemäßen“ – Untertitel „Mehr als 300 schlagende Verbindungsstudenten wohnen in Lankwitz einem historischen Ereignis bei. Zu sehen: blutige Zweikämpfe und eine Subkultur erstaunlicher Diversität“ schildert Autor Thomas Fasbender seine Eindrücke als offensichtlicher Augenzeuge dieser Veranstaltung und gibt darüber hinaus einen Ein- und Überblick über das dt. Verbindungsstudententum in Vergangenheit und Gegenwart und im Speziellen in das Mensurwesen. Kenntnisreich schildert er die historischen Entwicklungen. So erfährt der geneigte Leser viel Interessantes zum Mensurwesen und seiner gesellschaftlichen Bedeutung im Lauf der Zeit, Einzelheiten zum Ablauf einer Mensur, zum Verbindungswesen einst und jetzt und auch die konkreten Eindrücke des Schreibers über die Veranstaltung und vor allem die anwesenden Personen. Insgesamt – wie überhaupt in der letzten Zeit zu beobachten – ein Artikel, der sachlich und unvoreingenommen die Dinge beleuchtet und dem nicht die Abneigung gegen derartige Praktiken quasi gleich aus jeder Zeile entgegenspringt. Clostermeyer konnte uns ja bereits ähnliches über die Darstellungen in der TV-Kurzserie „Füxe“ in seiner Rezension in der letzten Ausgabe der Zeitschrift „Corps“ berichten.
So berichtet er u.a. zur offensichtlich erkannten Diversität der dort Versammelten und startet mit einem Zitat eines Kollegen von der „Süddeutschen“, dass es mit Studentenverbindungen „heute ein bisschen so sei wie mit Bibelgruppen oder Schützenvereinen. Menschen, die darin engagiert sind, gelten bestenfalls als schräg“. Dann setzt Fasbender aus eigener Erkenntnis, hier also seiner konkreten Eindrücke fort: „Es ist eine Subkultur von erstaunlicher Diversität. Was sie verbindet, ist das männliche Geschlecht, die Liebe zum Bier und das verschiedenfarbige Band quer über Brust und Schulter. Bei den Kopfbedeckungen beginnen die Unterschiede. Beim Kleidungsstil tut sich dann echte Vielfalt auf. Da sind die Österreicher mit ihren Lederhosen und Kniestrümpfen, dazwischen wilde Gesellen, schwarz gekleidet mit langen Haaren und Bärten, wieder anderen thront ein gezwirbelter Schnauzer unter der Nase. Unübersehbar auch die Snobs mit ihren Barbour-Jacken, roten Cordhosen und Bootsschuhen von Timberland. Die Anzugfraktion repräsentiert mit dunklem Binder und gezogenem Scheitel. Verglichen damit wirkt eine Pro-Demokratie-Demo der Ampelanhänger geradezu uniform. Und überhaupt: Zu glauben, schlagende Verbindungsstudenten wählten unisono AfD, wäre so ahnungslos wie zu glauben, alle 18-jährigen seien Grünen-Anhänger.“ So viel zu den offensichtlich persönlichen Eindrucken des Autors gelegentlich dieses „Groß“-Mensurtages.
Aber jetzt kommt es: „Doch was jetzt in Berlin geschah, stellte selbst das 19. Jahrhundert in den Schatten. Eine 100. Partie – das hat es seit Menschengedenken nicht gegeben. Legendäre Namen werden gehandelt, die meisten noch im 18. Jahrhundert geboren, doch verglichen mit Alexander Kliesch sind es ferne Erinnerungen aus dem Schattenreich.“
Kliesch wird dann näher vorgestellt, der geneigte Leser erfährt, dass er inzwischen 62 Jahre alt ist. Bereits 2013 im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ im Kettenhemd mit seinen vier Bändern posierte und bereits damals auf 66 Partien kam.
Mutterbund ist die L ! Brandenburgia aus Berlin, eines seiner drei weiteren Bänder ist das der L ! Troglodytia, bekanntermaßen unsere Nachbarn in der Bartelsallee. Ohne zu wissen, ob er heute noch gelegentlich auch in Kiel aufschlägt, kann gesagt werden, dass er in den neunziger Jahren regelmäßig in Kiel anzutreffen war, meines Wissens sogar dort zeitweise wohl eingeschrieben war, bereits damals eine Vielzahl von Partien „auf dem Buckel“ hatte und auch keine Gelegenheit für weitere Contrahagen auslies. Und so begab es sich, dass er auf unseren Corpsbruder Hell III traf. Knud Hell; Jahrgang ´67 und nach zweijähriger Dienstzeit bei der Marine zum WS 88/89 bei uns aktiv geworden, war damals Teil der „Aufbruchgeneration“. Nachdem Zmija am 01. Juni 1989 sein drittes Band bei uns aufgenommen hatte, musste er keine besondere Überzeugungsarbeit leisten, um die damalige Aktivitas zu animieren mit dem Schlagen tiefer Partien wieder dem normalen corpsstudentischen Standard zu entsprechen; allen voran seinen späteren Leibfuchs Knud Hell. Es waren bewegte Zeiten Anfang der Neunziger mit einer nach meiner Wahrnehmung seitdem nie wieder erreichten Dynamik und Aktivität innerhalb der damals zahlreichen Aktivitas. Als Spätinaktiver durfte ich von den Meriten und der Reputation meiner Nachfolgegeneration ebenfalls profitieren, der Umgang mit uns innerhalb des KWR und auch sogar überregional wurde spürbar respektvoller. Despektierlichkeiten gegenüber dem vormaligen Fechtstandpunkt unserer Alemannia mit lediglich zwei hohen Pflichtpartien gehörte jedenfalls fortan der Vergangenheit an. In dieser Generation ist Hell III „groß“ geworden und mehr noch, er war die Spitze dieser Generation ! Und so hat es auch so richtig niemanden verwundert, dass – nachdem er bereits einige Male hatte verlauten lassen, dass er es dem „Großmaul Kliesch“ einmal zeigen wolle – er sich eines Tages auf eine Partie mit eben diesem Kliesch verständigt hat. Um die Einzelheiten bin ich verlegen, aber ich erinnere durchaus den denkwürdigen Tag adH L ! Troglodytia mit einer für Kieler Verhältnisse ausgesprochen „kraftvollen“ und im Ergebnis auch sehr blutigen Partie, die Knud nur leicht lädiert überstand, die Gegenseite aber einigermaßen „zugerichtet“ den Paukboden verließ.
Für Hell müsste es die letzte seiner insgesamt 10 Partien (3 hohe, 7 tiefe) auf unsere Farben gewesen sein. Auch wenn es damals (selbstverständlich) keine Presse dazu gab, hat diese Partie durchaus republikweit Kreise innerhalb des korporierten Millieus gezogen; Kliesch war damals schon einschlägig menschlich und fechterisch bekannt. Fortan war Hell III als der unbekannte David bekannt der erfolgreich den Goliath bezwungen hatte.
Knud hat auch mit seinen sonstigen Aktivitäten im Corps alles andere als nur der Pflicht genüge getan und darüber hinaus einen akademisch wie beruflich bemerkenswerten Lebenslauf; dies sei an dieser Stelle ausdrücklich erwähnt. Von Kliesch ist bekannt, dass er sich irgendwann Anfang der 2000er Jahre auf den Coleurartikelhandel verlegt hat und ansonsten offensichtlich weiterhin als reisender Fechter republikweit in Erscheinung trat und offensichtlich nach wie vor tritt.
Bonmot zum Schluss: Im oben erwähnten SZ-Artikel bekannte Kliesch presseöffentlich SPD-Mitglied zu sein – so weit, so unspektakulär. Trotzdem wäre es natürlich interessant zu erfahren, wie die Partei, die bereits seit 2005 einen einschlägigen Unvereinbarkeitsbeschluss erlassen hat, die „Sache Kliesch“ sieht bzw. damit umgegangen ist. Auch wenn er sicher lange nicht die Relevanz eines Sarrazins oder Schröders hat, wäre ich hier durchaus wissbegierig.